Das geheimnisvolle Haus

  Ausschnitt aus dieser Geschichte

Die Einsamkeit der Gegend störte sie nicht weiter, bis zu dem Augenblick, als der Motor streikte und sich absolut nicht mehr starten ließ.
Woher sollten sie jetzt Hilfe bekommen?
Zufällig entdeckten sie hundert Meter von ihnen entfernt ein Haus auf einem kleinen Hügel.
Günter hoffte, dort auf Leute zu treffen, die ihnen helfen konnten. Er wollte versuchen, per Telefon eine Nachtdienst habende Werkstatt zu benachrichtigen. Kurzerhand erklomm er den kleinen Hügel und stand wenig später vor dem Haus, in dem kein Licht brannte.

Ursula sah vom Wagen aus, wie ein heller Lichtschein aus der Haustür fiel, als sie sich öffnete. Sie konnte noch erkennen, dass Günter eintrat und die Tür hinter ihm geschlossen wurde. Sie behielt das Haus ständig im Auge, doch die Zeit des Wartens schien ihr endlos. Da plötzlich – Ursula riss die Augen weit auf – stürmte Günter wie besessen aus dem Haus, den Weg herunter und spornstreichs aufs Auto zu.

Er ließ sich neben Ursula auf den Fahrersitz sinken und war zunächst unfähig, ihre drängenden Fragen zu beantworten. Die Farbe wich aus seinem Gesicht und die Hände zitterten, während er einfach da saß und in die Dunkelheit starrte. Ursula war entsetzt und schockiert zugleich.
Doch dann beruhigte Günter sich allmählich und fing an zu erzählen:

„Als ich vor dem Haus stand, glaubte ich im ersten Moment, es sei unbewohnt, denn die beiden Fenster neben der Haustür waren mit Brettern zugenagelt. Ein weiteres Fenster über der Türe, dessen Scheibe zersplittert war, hatte der Besitzer notdürftig mit Pappe zugedeckt, die sich aber stellenweise schon wieder löste. Das Haus wirkte verwahrlost. Hätte ich nicht Geräusche von drinnen vernommen, wäre mir nie der Gedanke gekommen, dass hier noch jemand wohnen könnte. Ich wollte an der Haustür schellen, musste aber feststellen, das die Schelle halb abgerissen neben der Tür hing.
Also klopfte ich laut, worauf das Licht anging und mir von einer großen hageren Frau geöffnet wurde. Sie musterte mich zunächst kritisch. Ihr Blick durchbohrte mich und ihre Augen verrieten keine Regung, als ich von unserer Panne erzählte und sie bat, telefonieren zu dürfen. Ihr farbloses Gesicht und ihre wirren schwarzen Haare gaben der Frau ein unheimliches Aussehen.
Mit knappen Worten ließ sie mich herein. Ich trat ins Haus und merkte ein Unbehagen in mir hochsteigen. Fast bereute ich schon, überhaupt angeklopft zu haben.
Als die Frau die Tür hinter mir geschlossen hatte, glaubte ich, ihre bohrenden Blicke im Rücken zu spüren.
Ein eigenartiger süßlicher Geruch drang mir in die Nase, so dass mir fast übel wurde. Noch darüber sinnend, woher der Gestank kam, fiel mein Blick auf die bizarren Muster der Tapete, die von der Deckenlampe gespenstisch angestrahlt wurden. Verunsichert drehte ich mich nach der Frau um, die immer noch hinter mir stand, ohne ein Wort zu sprechen. Irgendwie schien sie mir im Tran, ihr Blick war starr und abwesend.
Da war dann auf einmal wieder dieses eigenartige, undefinierbare Geräusch zu hören, das ich schon draußen gemeint hatte aus einem der Zimmer zu vernehmen. Seltsamerweise erwachte die Frau in diesem Moment aus ihrem Trancezustand. Sie zuckte zusammen und stakste an mir vorbei. Mit monotoner Stimme forderte sie mich auch, ihr zu folgen.
Sie öffnete eine Tür, und ich betrat einen kleinen Raum, in dessen Mitte ein großer schwarzer Tisch mit vier Stühlen stand. Eine grell leuchtende Deckenlampe hing fast bis auf den Tisch herunter. Auf dem kahlen Steinfußboden lag kein Teppich und die Muster der Tapete waren stark verblichen. Obwohl es draußen noch warm gewesen war, kam mir hier eisige Kälte entgegen. Der Raum gab mir das Gefühl, in einer Grabkammer zu sein. Ich spürte am ganzen Körper eine Gänsehaut, als ich dann an der Wand, unterhalb des Fensters, es musste das vernagelte sein, eine große schwere dunkle Truhe bemerkte, die wie ein Sarg aussah. Ich war so entsetzt, dass ich nur mit Mühe die erneute Frage nach dem Telefon formulieren konnte. In mir war in dem Moment nur ein Wunsch: So schnell wie möglich weg von hier! Wie aus weiter Ferne hörte ich die entmutigenden Worte, dass es hier weit und breit keinen Fernsprecher geben würde und die nächste Werkstatt zehn Kilometer entfernt sei, aber heute keinen Nachtdienst hätte.

Ja, ja, das stimmt! dröhnte plötzlich eine tiefe Stimme dicht hinter mir. Ich kann sie morgenfrüh mit meinem Lieferwagen mitnehmen und sie bei der Werkstatt absetzen.
Ein kräftiger, wild aussehender Mann legte mir seine Pranke auf die Schulter und stellte sich vor mich hin. Ich erschauderte bei seiner Berührung. Er bot mir an, bei ihnen zu übernachten. Mit weichen Knien konnte ich ihm gerade noch antworten, dass ich dich zuerst noch holen wollte. Ich sah, wie er der Frau hämisch einen Blick zuwarf und dann in einem der Räume verschwand, aus denen ich die Furcht einflößenden Laute vernommen hatte.
Die Frau und ich standen nun wieder allein im Zimmer. Sie wirkte erneut wie versteinert und schien mich gar nicht mehr zu sehen. Ihr lebloser Blick war auf einen unbestimmten Punkt auf dem Fußboden gerichtet.
Ich hatte nur noch den einen Gedanken – raus aus diesem unheimlichen Haus!
Schnellen Schrittes ging ich zur Haustür und rannte, so flink mich meine Beine trugen, hinaus.“

Ursula und Günter waren sich darin einig, weder in dem Haus zu übernachten, noch irgendeine andere Unterstützung dieser Leute in Anspruch zu nehmen.
Sie überlegten, was sie nun machen sollten. Auf gar keinen Fall wollten sie länger untätig im Auto sitzen bleiben. Die Angst saß beiden tief im Nacken. Zu unheimlich war all das gewesen, was Günter soeben erlebt hatte. Ursula liefen immer noch kalte Schauer den Rücken herunter. Sie traute sich kaum mehr, zu dem Haus hinauf zu sehen. Jeden Moment erwartete sie, dass sich die Haustür öffnete und einer der schrecklichen Bewohner heraus treten würde.

Aber nichts dergleichen geschah. Es blieb alles still. Das Haus ließ wir bei ihrer Ankunft nichts darauf hindeuten, dass hier irgendjemand wohnte. Nirgendwo brannte Licht. Das Gebäude wirkte jetzt kalt und Furcht erregend.

Wir müssen hier weg, hatte Günter schließlich gemeint. Egal wohin, nur fort von hier. Sie sprangen aus dem Auto, fassten sich an den Händen und liefen die Straße herunter so schnell ihre Füße sie trugen. Sie mussten die Werkstatt unbedingt finden, auch wenn sie, wie die hagere Frau Günter erklärt hatte, zehn Kilometer entfernt lag.

 

  © Helga Salfer