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Der Tick
Mit
sorgenvoller Miene beobachtet Martin vom Fenster aus den Nachbarn, der aktiv
seinen Vorgarten bearbeitet. Überall hat er Löcher gegraben, um neue Sträucher
und Stauden zu pflanzen. Am liebsten
würde Martin jetzt gleich aus der Haustür springen, sich seinen Besen
schnappen, der immer griffbereit draußen steht, und die auf sein Grundstück
gefallenen Dreckklumpen weg kehren. Aber er kann seinen Besuch nicht allein im
Wohnzimmer sitzen lassen. „Martin,
nun bring schon den Kaffee aus der Küche mit! Wo bleibst du denn?“ hört er
seine Frau ungeduldig rufen. „Ja, ja!
Ich bin schon unterwegs!“ Es fällt
ihm schwer, sich loszureißen. Am liebsten würde er Herrn Schneider weiter
genau im Auge behalten und seinen Kaffee hier am Küchenfenster trinken. So würde
ihm nichts dadurch gehen. Er wirft
einen letzten Blick auf den Plattenweg zu seinem Haus, auf dem ein paar kleine
Erdkrümmelchen liegen. Mit festem
Griff umfasst er den Henkel der Kaffeekanne und beißt die Zähne zusammen.
„Es geht
nicht! Ich kann nicht in Ruhe Kaffee trinken und Kuchen essen, wenn der
Schneider dauernd mit dem Mutterboden wie
ein Maulwurf um sich wirft. Ich muss raus.“ „Maaaartiiiin!“
Die Stimme seiner Frau klingt ärgerlich. Im gleichen
Moment klingelt Martins Handy. Martin stellt die Kaffeekanne zurück auf den Küchentisch
und greift nach seinem Handy, ohne jedoch den Blick von Schneider abzuwenden. Seine Frau
erscheint in der Küchentür, um den Kaffee zu holen, und verdreht die Augen.
Stumm zuckt Martin mit den Schultern, signalisierend – was kann ich dafür? Nur mit Mühe
kann er sich auf das Gespräch konzentrieren, denn er muss sich in der äußersten
Ecke der Küche ziemlich verrenken, um Herrn Schneider noch zu sehen, der gerade
in einem für Martin schlecht einsehbaren Winkel seines Vorgartens steht. „Moment,
ich muss in meinen Unterlagen nachsehen, Herr Bauer,“ antwortet Martin. Abrupt
verlässt er seinen Beobachtungsposten und rennt die Treppe hinauf in sein
Arbeitszimmer. Für kurze
Zeit vergisst er sogar Herrn Schneiders Aktivitäten, während er sich durch
seine Geschäftsunterlagen durcharbeitet. Der Vertrag von Herrn Bauer erfordert
jetzt seine ganze Aufmerksamkeit. Aber nicht lange! Als alle
Formalitäten geklärt sind, beendet er das Telefongespräch. In Martin erwacht
erneut die Unruhe. Er muss sehen, was draußen inzwischen geschehen Mit großen
Schritten flitzt er die Treppe herunter und stürzt erneut in die Küche. Mit
aufgerissenen Augen starrt er aus dem Fenster. Der Mund bleibt ihm vor Entsetzen
offen stehen, als er sieht, wie Herr Schneider mit einer mit Mutterboden voll
beladenen Schubkarre angefahren kommt. Martin
verschlägt es die Sprache. Weniger schockiert ihn die gefüllte Schubkarre, als
die Spuren von Herrn Schneiders groben Gartenschuhen auf seinem Grundstück. „Na
warte!“ murmelt er vor sich hin und ballt die Hand zur Faust. „So geht es
nicht! So nicht, mein Lieber!“ „Mensch,
Martin! Wo bleibst du denn? Wir warten auf dich! Dein Kaffee wird kalt!“ „Verflixt!
Was mach ich jetzt? Ich kann denen da drinnen doch kaum sagen, dass ich erst
kehren muss, obwohl .... Ja - , das
ist es! Sie machen sich alle schmutzig, wenn sie nach Hause gehen, also
m u ß ich sauber
machen!“ „Mit wem
redest du, Martin?“ „Ach, mit
niemandem! Fangt schon ohne mich an! Ich muss eben noch mal raus zur Garage!“
lügt er. „Na
gut!“ antwortet seine Frau nichts ahnend. „Aber beeil dich, bitte, ja?“ „Ja, ja!
Mach ich!" Martin spürt,
wie es ihm leichter ums Herz wird. Endlich kann
er seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Kehren! Zwar würde er
dieses Mal Herrn Schneider gründlich die Meinung sagen, von wegen Verschmutzung
seines Grundstückes. Aber im Grunde genommen gab es nun einen berechtigten
Grund, wieder zu seinem geliebten Besen zu greifen. Er konnte es einfach nicht
lassen - das Kehren! Freudig erregt öffnet er die Haustür. „Guten
Tag, Herr Braun!“ Herr Schneider lächelt ihn freundlich an. Martin zieht
die Augenbrauen zusammen, um seinem Gesicht ein missmutiges Aussehen zu geben. „Tag,“
brummelt er unfreundlich. „Haben Sie schon gesehen, was Sie alles auf meinem
Weg an Erdklumpen verloren haben? Wir haben Besuch! Wenn die nach Hause gehen,
werden ihre Schuhe ganz schmutzig!“ „Aber Herr
Braun, ich bring das natürlich alles wieder in Ordnung! Ist doch selbstverständlich!
Entschuldigung, aber es ließ sich leider nicht so ganz vermeiden! Machen Sie
sich keine Sorgen!“ „Sie
haben gut reden! Wie wollen Sie den Dreck denn wieder weg bekommen? Na ja, ist
Gott sei Dank alles trocken. Mit dem Besen wird hoffentlich alles wieder
sauber!“ „Ja,
sicher! Ich kümmere mich nachher schon darum!“ Herr Schneider wendet sich
wieder seiner Arbeit zu. „Wer weiß,
wie der kehrt!“ denkt Martin. „Lässt die Hälfte liegen! Mach ich doch
lieber selber! Besuch hin – Besuch her! Das kann ich hier nicht mit
ansehen.“ Es kribbelt
Martin bereits in den Fingern. Unruhig wirft er einen Blick auf seinen Besen,
der in greifbarer Nähe steht. Mit dem
Besen ergeht es ihm wie einem Raucher, der keine Zigarette liegen lassen kann.
Wenn Martin seinen Besen so dicht neben sich stehen sieht, muss er einfach
zugreifen. Der Besuch
– sie warten auf mich! Sekunden schwankt Martin in seiner Entscheidung:
Reingehen oder kehren! Verschiedene Gedanken schießen ihm durch den Kopf: Was wird
Herr Schneider sagen oder denken, wenn ich jetzt selber kehre? Was wird meine
Frau sagen, wenn sie mich kehren hört? Und der Besuch? Aber das Bedürfnis,
es zu machen, ist so groß. Es
stellt einfach alle anderen Bedenken in den Hintergrund. Mit sicherem
Griff umfasst er den ‚geliebten’ Besenstiel. Bei der Berührung des
vertrauten Holzes glätten sich sogleich seine Sorgenfalten auf der Stirn. Zwar
ärgert ihn der Dreck vor seiner Tür, andererseits gibt er ihm die Möglichkeit,
seiner liebsten aller Tätigkeiten nachzugehen. Aus den
Augenwinkeln beobachtet er die Reaktion von Herrn Schneider. Doch der arbeitet
still vor sich hin und schaut gar nicht herüber. Martin spürt,
wie seine Nervosität einer wohligen Ruhe weicht. Er geht völlig auf in seiner
Arbeit, die er über die Maßen sorgfältig, mit einer unübertrefflichen Präzision,
ausführt. Nach
geraumer Zeit zeigt sich sogar ein Lächeln auf seinem Gesicht. Martin ist glücklich. Nichts und
niemand kann seine Laune besser heben, als sein ‚Bestes Stück’ der Besen! So hat eben
jeder irgendeine Marotte. Und bei Martin ist es -
DAS KEHREN!
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