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Der hinterlistige Hausbewohner

 

Kerstin und Mark besitzen eine wunderschöne Eigentumswohnung in einem Sechsfamilienhaus am Rande der Stadt. Sie bewohnen die zweite Etage und genießen von ihrem Balkon aus einen herrlichen Ausblick ins Grüne.

Eigentlich fühlen sich die Beiden recht wohl in ihrem ‚Nest’, wenn nicht  des öfteren der ‚nette’ Etagennachbar für Ärger sorgen würde.

So auch an diesem Abend, als Kerstin gemeinsam mit Mark von einem Einkauf nach Hause kommt.

Mit  mehreren Einkaufstüten bepackt steigen sie in den Lift, der sie in das zweite Stockwerk bringt. Als sie die Türe des Aufzuges aufdrücken, steht ihr Nachbar, Herr Bauer, vor ihnen.

„Guten Abend, Herr Bauer!“ antworten Kerstin und Mark wie aus einem Mund.

Doch statt eines Grußes vernehmen sie nur ein undeutliches, knurrendes „hm“.

Kerstin sieht Mark aus den Augenwinkeln an.

Typisch für diesen Kerl, was erwartet man anderes, will sie Mark damit andeuten.

Mark versteht sofort und nickt ihr unmerklich zu.

Vor der Etagentüre will Mark gerade den Schlüssel aus seiner Jackentasche nehmen, als Herr Bauer ihm von hinten auf die Schulter tippt.

Mark dreht sich überrascht um und blickt direkt in das leicht gerötete Gesicht seines Mitbewohners.

„Was gibt es denn, Herr Bauer? Ist irgendetwas nicht in Ordnung? Geht es ihrer Frau vielleicht nicht gut?“

„Oh doch, sogar sehr gut. Aber meiner Frau und mir liegt da seit längerer Zeit etwas sehr schwer auf der Seele. Wissen Sie,  -  meine Frau und ich,  -    wir beobachten das schon über mehrere Wochen, es stört uns ungemein, aber jetzt wollen wir es Ihnen und Ihrer Frau doch einmal sagen, so geht es wirklich nicht ...“

„Ja, aber Herr Bauer,“ fährt Kerstin ihm ins Wort, „nun machen Sie es doch nicht so spannend. Sagen Sie doch endlich, was Ihnen und Ihrer werten Frau nicht passt. Hat es etwas mit uns zu tun?“

„Ja, natürlich! Mit wem sonst? Sie benutzen das Treppenhaus, halten es aber nicht für nötig, es in vierzehntägigem Rhythmus zu putzen!“

„Was?“ Mark  schüttelt den Kopf. „Das glauben Sie jetzt aber selber nicht, Herr Bauer! Sie wissen so gut wie ich, dass dieser Vorwurf nicht stimmt! Im Gegenteil! Wir führen genau Buch darüber, wann wir mit der Treppenhausreinigung dran sind.“

„Ha, das ich nicht lache, Herr Bauer!“ Kerstin baut sich dicht vor Herrn Bauer auf und schaut ihm fest in die Augen, worauf dieser seinen Blick ein wenig unsicher senkt.

Kerstin bemerkt diese kleine Unsicherheit sofort und fährt fort.

„Können Sie uns dafür einen Beweis liefern? Ich glaube es nicht! Denn oft genug – und das wissen Sie ebenso gut wie ich – sind sie zufällig mit dem Fahrstuhl in den Keller gefahren, wenn ich gerade die Treppe kehrte oder feucht wischte. Also! Was fällt Ihnen dazu ein? Wollen Sie es etwa leugnen? Wäre ja noch schöner!“

„Nein, nein! Stimmt schon! Aber ich bleibe dabei: Sie putzen nicht regelmäßig! Ich kann ja verstehen, wenn sie beide den ganzen Tag arbeiten, dann ...“

„Was dann bitte, Herr Bauer?“ Kerstin funkelt ihn zornig an. Langsam steigt ihre Wut.

Dieser ständig nörgelnde Giftzwerg. Weiß vor Langeweile nicht ein noch aus und schikaniert andere unschuldige Leute.

„Na ja – die Zeit – es fehlt Ihnen eben die nötige Ruhe und Zeit, um Ihren Verpflichtungen hier im Haus nachzukommen. Wenn man in einer Gemeinschaft wohnt, müssen die Regeln eingehalten werden, sonst ...“

„Sonst?“ Mark bemüht sich, seiner Stimme einen ruhigen Ton zu verleihen, obwohl er Herrn Bauer am liebsten anschreien möchte. Dieser Mann nervt. Und gerade heute Abend, wo er noch die Unterlagen für das Finanzamt bearbeiten will.

„Ach – wenn Sie mir nicht glauben, ich kann es Ihnen sogar beweisen!“ Herr Bauer schnauft laut.

„Oh, Mark, jetzt wird es interessant!“ sagt Kerstin spitz. Ihre Geduld ist dem Ende nahe. Sie muss noch das Abendessen vorbereiten und gegen 20.00 Uhr zum Gymnastik – Kursus.

Verflixt, muss der uns auch ausgerechnet in die Quere laufen, geht es ihr durch den Kopf.

„Kommen Sie her, ich will es Ihnen zeigen. Sehen Sie sich die Treppenabsätze an!“

„Na und?“ Mark zuckt mit den Schultern und Kerstin verdreht die Augen.

„Also mir fällt nichts auf. Mir auch nicht .“ erwidern beide.

„Dann bücken Sie sich bitte einmal und schauen genauer hin. Irgendetwas wird Ihnen bestimmt auffallen. Aber was sage ich – Sie wollen es nicht bemerken. Ich zeige es Ihnen. Da – und da – und da – und da! Na? Ist das nichts? Ich denke mir, das ist Beweis genug, dass Sie seit Wochen hier nicht geputzt haben. Sehen Sie diese Tesafilmstreifen? Ich habe sie in mühevoller Kleinarbeit dorthin geklebt. Beim gründlichen Reinigen der Treppe hätten Sie sie auf jeden Fall bemerken müssen. Meine Frau hat extra schon zweimal drum herum geputzt, damit sie nicht abgingen.

Wenn Sie sorgfältig geputzt hätten, wären Ihnen die Klebestreifen doch als Verschmutzung aufgefallen. Aber da sie noch so fest sitzen wie am Anfang, steht ja wohl eindeutig fest, dass meine Behauptung auf ‚festen Füßen’ steht: Sie putzen nicht – zumindest nicht regelmäßig!“

„Das ich nicht lache,“ faucht Kerstin. „So etwas ist ja wohl die größte Unverschämtheit, die Sie sich leisten können. Sie wissen so gut wie ich, dass abends bei Lampenlicht diese durchsichtigen Tesafilmstreifen fast nicht sichtbar sind.

Und – im übrigen habe ich diese Dinger vermutlich beim Wischen eher noch fester angedrückt.“

„Nee, meine Liebe!“ Herr Bauers Gesicht verfärbt sich mehr und mehr vor Ärger.  „Wenn Sie geputzt haben, knirscht es dennoch bei jedem Schritt unter meinen Schuhen. Wenn aber meine Frau die Arbeit macht,  können Sie von der Treppe essen, so sauber und blitzblank ist sie dann.“

„Also dieses Gespräch wird mir  langsam zu dumm, Mark! Ich habe es nicht nötig, mir solche Beleidigungen nachsagen zu lassen.  Das ist doch glatte Schikane!“

„Allerdings, Kerstin!“ Mark atmet tief durch und schüttelt verständnislos den Kopf.

Er wendet sich wieder Herrn Bauer zu und tritt dicht vor ihn hin.

„Herr Bauer! Ich verbitte mir in Zukunft solche Bosheiten! Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre Angelegenheiten und  - bevor ich es vergesse -  wagen Sie es nur ja nicht noch einmal, meine Frau derart zu verletzen.“

Mit diesen Worten lässt er den verblüfften Nachbarn stehen und betritt seine Wohnung, wo Kerstin ihn bereits erwartet.

Als die Beiden am nächsten Abend das Treppenhaus benutzen, weil der Fahrstuhl defekt ist, fällt ihr Blick wie zufällig auf die Treppenabsätze, wo die Tesafilmstreifen gestern noch klebten.

Herr Bauer hatte sie heimlich im Laufe des Tages entfernt.

„Er hat wohl seine Lektion gelernt und lässt uns nun in Ruhe!“ Mark sieht Kerstin mit einem breiten Grinsen an.

„Aber er wird wohl immer ein Schlawiner bleiben“, seufzt Kerstin.

Tatsächlich hat Herr Bauer seither nie mehr den Versuch unternommen, Kerstin und Mark zu nahe zu treten.

 

© Helga Salfer