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Die
Stubenfliege Amalie
Traurig, mit
hängenden Flügeln, saß Amalie, die kleine Fliege, auf der Wohnzimmerlampe von
Familie Braun. Tränen standen in ihren Augen. Warum war sie nur so allein?
Nirgendwo wollte man sie haben. Immer nur hörte sie die zischenden Laute wie - Sch –sch
– sch -, was so viel bedeutete wie „mach bloß, dass du wegkommst“. Wie gerne würde
sie einmal so behandelt werden wie der Kater Kasimir, der ständig mit
Leckereien gefüttert und andauernd von Frau Braun gestreichelt wurde.
Schnurrend lag er auf ihrem Schoß und schloss die Augen vor Behaglichkeit. Amalie spürte
einen Stich in ihrem Fliegenherz. Sie hatte niemanden mehr, der sie gern mochte.
Ihre Eltern und Geschwister waren vor wenigen Wochen einer riesigen Fliegenfalle
zum Opfer gefallen. Amalie selbst hatte dem Tode mit knapper Not entrinnen können.
Doch manchmal wünschte sie sich, es hätte sie auch erwischt. So alleine auf
der großen weiten Welt – das gefiel ihr von Tag zu Tag weniger. Eben kam Herr
Braun zur Türe herein und wollte sich gerade an den Wohnzimmertisch setzen, als
er auf der Lampe Amalie gewahr wurde. „Du blödes
Fliegenvieh! Haust du wohl ab!“ wetterte er sogleich los. Ärgerlich
griff er nach einer Zeitung und wedelte damit vor Amalies Nase herum. Erschrocken
wich Amalie zurück und rettete sich auf die Lehne eines Stuhles. Herr Braun
wirbelte herum und schlug wild um sich. Als er Amalie
erblickte, setzte er erneut zum Schlag an. Vor Schreck
versagten der kleinen Fliege die Flügel, und sie klatschte auf den Steinfußboden. „Aua,
aua“, jammerte sie leise. „Ha, wo ist
das Biest?“ hörte sie die mächtige Stimme des Hausherrn hoch über sich. Amalie
zitterte am ganzen Körper. Sie war für einen Moment unfähig, sich von der
Stelle zu rühren. Sekunden später
tauchte dicht vor ihr ein dunkler Schatten auf. Knapp neben Amalie hatte Herr Braun seinen riesigen Fuß
stehen, mit dem er sie um Haaresbreite zerquetscht hätte. Er suchte mit den
Augen die Zimmerdecke ab. „Nichts wie
weg hier“, dachte Amalie, „sonst tritt er mich platt wie eine Flunder“. Blitzschnell
breitete sie ihre Flügel aus und flog ungesehen von Herrn Braun in die Vorhänge
des Wohnzimmerfensters. Ängstlich klammerte sie sich an dem Stoff fest und
beobachtete ihren Feind aus sicherer Höhe. „Was machst
du denn hier?“ hörte Amalie plötzlich eine leise flüsternde Stimme dicht
neben sich. Sie zuckte
zusammen. Mit aufgerissenen Augen starrte sie in die Richtung, aus der sie die
Stimme vernommen hatte. „Wie heißt
du denn und woher kommst du?“ wisperte die Stimme erneut. Amalie traute
ihren Augen nicht. Da saßen zwei dicke Fliegen beieinander
und sahen erwartungsvoll zu ihr herüber. „Ich bin
Amalie. Zufällig war das Fenster offen, ich
flog herein und wollte mich auf der Lampe ein wenig von meinem Flug draußen in
Wald und Feld erholen. Aber ich wurde sofort wieder verjagt.“ „Das haben
wir schon mitbekommen. Vor Herrn Braun musst du dich in acht nehmen, der ist
ziemlich schnell wütend. Auch der Kater ist nicht ohne. Er hat schon oft genug
versucht, uns mit seinen Pfoten zu erwischen. Doch wir sind zu geschickt und zu
klug, um uns von ihm fangen zu lassen. Du musst wissen, wir kennen uns hier gut
aus, sind sozusagen Stammgäste hier im Haus.“ „Ach, ihr
habt es gut. Ihr seid zu zweit. Ich bin ganz mutterseelenallein. Mir ist es fast
schon egal, wenn mich der Kater fängt oder frisst“. „Hör mal,
Amalie! So etwas darfst du noch nicht einmal denken! Wieso bist du allein? Hast du keine
Geschwister und keine Eltern mehr?“ „Nein! Sie
fielen alle einem Fliegenmörder zum Opfer!“ Die beiden
Fliegen sahen sich entsetzt an und nickten sich stumm zu. Dann wandten sie sich
wieder der kleinen Amalie zu. „Das ist ja
wirklich schlimm, was du uns da erzählst. Du bist doch noch so klein! Kommst du
denn überhaupt schon alleine zurecht, wo niemand bei dir ist, der dich beschützt?“ Amalie
wischte sich verstohlen mit einem Flügel über ihre feucht gewordenen Augen. Schweigend
schüttelte Amalie das Köpfchen. Sie blickte
die beiden Fliegen an und versuchte, ihre Tränen
zu verbergen. „Wir können
dich beschützen Amalie! Wie fändest du es denn, wenn du dich uns anschließen
würdest? Du wärst dann nicht mehr so einsam und allein. Immerhin wären wir
dann schon zu dritt und könnten uns auch in der Not gegenseitig besser
beistehen.“ Die Augen der
kleinen Fliege leuchteten. „O ja, das
wäre wunderschön. Aber ...“ „Nichts
aber! Also, ich bin die Amanda und
das hier, das ist Frieda. Willkommen in unserem Kreis, Amalie.“ Sie
krabbelten zu Amalie hin und umarmten sie herzlich. Amalies Herz
klopfte wild vor Freude. Sie brummte laut vor Glück und Zufriedenheit. Eigentlich,
dachte sie für sich, muss ich Herrn Braun
dankbar dafür sein, dass er
mich von meinem Platz auf der Lampe verscheucht hat, denn sonst hätte ich
Amanda und Frieda niemals kennen gelernt. Nach der
innigen Umarmung verließen die drei die Wohnung gemeinsam durch das immer noch
offen stehende Fenster. |