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Die kluge Maus  
 

Die Mausemutter Adele ist auf dem Heimweg zu ihrer kleinen Familie. Es dämmert bereits und sie hat ihre Wohnung beinahe erreicht, als sie das Furcht einflößende Schnurren von Kater Janosch dicht hinter sich vernimmt.

Mit klopfendem Herzen setzt sie ihren Weg fort, ohne sich umzudrehen. Doch eh sie sich versieht, legt der große Kater vorsichtig seine Vorderpfote auf ihren Rücken.

„Na, Adelchen, noch so spät allein unterwegs? Ein bisschen gefährlich für eine Maus. Vor allem dann, wenn sie einem Kater über den Weg läuft, der vor Hunger kaum auf seinen vier Pelzbeinen stehen kann. Adelchen, dich schickt der Himmel. Hast du noch etwas auf dem Herzen? Dann sag es mir schnell. Ich muss unbedingt etwas Essbares zwischen die Zähne kriegen.“

Die Maus blickt ihn mit ihren schwarzen Knopfaugen  aufmerksam an. Sie begegnet Janosch nicht zum ersten Mal. Aus der Erfahrung mit ihm weiß sie, wenn sie ihm die Angst nicht zeigt, hat sie eine kleine Chance, davon zu kommen.

„Ach Janosch“, piepst sie. „Das – das tut mir furchtbar leid. Ich habe leider nichts bei mir, was ich dir anbieten kann. Sonst würde ich ....“

„Doch, doch, Adele! Du bringst etwas Wundervolles für mich mit. Dich, dich selbst.“

Er stößt sie leicht mit der Vorderpfote an.

„Aber Janosch, so hör mir zu – meine Kinder brauchen mich doch. Und ich bin so klein und kann deinen großen Katzenmagen wohl kaum füllen.“

„Das lass mal lieber meine Sorge sein, Adelchen.“

„Ich muss ihm unbedingt etwas anbieten, damit er mich laufen lässt,“ murmelt die Mausemutter leise.

„Was hast du da gesagt?“ Der Kater beugt sich tief zu Adele hinunter, so dass seine langen Schnurrhaare sie im Gesicht kitzeln.

„Ich darf jetzt nicht die Nerven verlieren, ich will stark sein für meine Mausekinder“, denkt Adele.

„Hör zu, Janosch! Siehst du da vorne das kleine Haus mit dem schönen Garten, wo der Rauch aus dem Kamin steigt?“

„Ja klar, sehe ich das Haus! Und?“

„Die Bewohner legen fast jeden Tag Speck oder Käse auf die Terrasse. Das duftet schon verführerisch. Aber für meine Kinder ist der Speck zu fett und der Käse auch. Sie würden sich den Magen verderben. Aber du? Für dich wäre das bestimmt genau das Richtige!“

„Oh !“ seufzt der Kater genüsslich und verdreht die Augen. „Hört sich ja nach einem richtigen Festmahl an! Vielleicht sollte ich es mir tatsächlich ansehen.“

„Du musst dich beeilen! Es könnte dir sonst ein anderer Kater zuvor kommen!“

Janosch streicht sich mit der Pfote durchs Gesicht. Adele blickt ihn erwartungsvoll an.

„Das Angebot ist verlockend, ich rieche schon den Speck in meiner Nase und den Käse ....“

„Dann lauf doch hin, in ein paar Sprüngen bist du da. Der Speck ist frisch und würzig und ich bin eine alte Mausemutter. An mir beißt du dir deine Zähne aus.“

„Mir läuft schon das Wasser im Maul zusammen, den Speck muss ich haben.“

In seinem Katzenkopf kreist alles nur noch um Speck und Käse. Eine Maus würde er jederzeit überall finden. Aber solche Delikatessen?

Spornstreichs rennt er auf das Haus zu.

Kichernd setzt die Maus ihren Heimweg fort. Die Vorstellung, wie der fette Kater nun  beim Versuch an das Futter heran zu kommen mit seinen Pfoten in der Mausefalle fest hängt, entschädigt sie für die ausgestandene Angst.

 

  © Helga Salfer