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Die resolute ‚Oma’ auf dem Traktor ...
 


Gutgelaunt befuhren Daniela und Bernd eine ruhige Landstraße in einer ländlichen Gegend.

Während Daniela sich noch über die schöne Landschaft freute, tauchte plötzlich links von ihnen ein Traktor auf, der schwerfällig den leicht ansteigenden Weg zur Straße herauf gerattert kam. Ohne anzuhalten, bog er einfach nach links in die Straße ein.

Bernd trat sofort kräftig auf die Bremse. Glücklicherweise kam er dicht vor dem Traktor  gerade noch rechtzeitig zum Stehen.

„Puh! Das war knapp! Ich habe aber auch nicht damit gerechnet, dass der nicht stehen bleibt!“ Bernd schüttelte verständnislos den Kopf.

Wie im Zeitlupentempo fuhr ein uraltes Gefährt samt Anhänger in die Landstraße ein.

„Mein Gott!“ entfuhr es Bernd. „Wer so langsam fährt, hätte uns ohnehin vorbei lassen können!“

Er nahm den Fahrer näher in Augenschein und stellte fest - es war eine Fahrerin! Aber was für eine! Bernd riss die Augen weit auf! Verblüfft wandte er sich an Daniela.

„Du, sieh dir diese Frau auf dem Traktor an! Das gibt es doch nicht! Das ist ja eine alte, nein, eine steinalte ‚Oma’!“

Tatsächlich hockte auf dem Fahrersitz eine Bäuerin mit schlohweißen Haaren, von denen eine Strähne unter ihrem Kopftuch hervor lugte. Trotz des Tuches war ihr Gesicht  von der Seite gut zu erkennen.

„Guck dir das an, Bernd!  Wie  gebannt sie auf das große Lenkrad des Traktors sieht! Ihre ganze Konzentration gilt dem Herumkurbeln des Steuers.  Man merkt ihr richtig an, wie sie sich anstrengt! Unsere quietschenden Reifen haben sie nicht im geringsten erschrocken. Im Gegenteil! Ich habe eher den Eindruck, sie hat sie gar nicht gehört, und uns scheint sie ja auch nicht wahrzunehmen.“ 

Gebannt starrten sie beide auf die Bäuerin, die kerzengerade, mit unbeweglicher Miene,  hoch oben auf ihrem Traktor thronte.

Bernd schmunzelte. „Es ist schon erstaunlich, wie so ein uralter Traktor überhaupt noch fahrtüchtig sein kann. Wenn ich die Frau und den Traktor so betrachte, kann ich mir gut vorstellen, dass die Beiden zusammen alt geworden sind und sich in- und auswendig kennen.“

Daniela nickte lächelnd.

Inzwischen fuhr die Alte mit ihrem Traktor langsam vor ihnen her und bestimmte für eine längere Zeit ihr Tempo! – Schneckentempo!  Die Landstraße war einfach zu  eng und zu kurvenreich gewesen, um den Traktor zu überholen.

„Wirklich! Eine ‚Oma’  -   wie aus dem Bilderbuch!“ bemerkte Bernd.

„ Aber eine resolute!“ Dieser Frau macht so leicht keiner etwas vor! Das ist schon beneidenswert in ihrem hohen Alter!“

Daniela betrachtete nachdenklich die Frau vor sich auf dem Traktor.

„Zweifellos! Ganz sicher steht sie noch mit beiden Beinen im Leben und versucht, so weit es ihr möglich ist, mitzubestimmen, was auf dem Hof geschieht. So selbstbewusst, wie sie den Traktor steuert!“

Noch während Bernd und Daniela die Frau so bewunderten, wurden sie ein zweites Mal von ihrem Fahrstil derart überrascht, dass sie abrupt verstummten.

Was war geschehen?

Die ‚Oma’ scherte  urplötzlich mit ihrem Traktor nach links aus, selbstverständlich, ohne vorher ein Zeichen gegeben und  ohne die Geschwindigkeit verringert zu haben.

„Was macht sie denn jetzt? Hoffentlich kommt kein Gegenverkehr! Oh Gott!“ Bernd stöhnte hörbar auf. Auch Daniela stockte fast der Atem.

Mit der Frage ins Gesicht geschrieben – Warum macht sie das nun schon wieder? -  sah sie Bernd an.

Die Antwort war ganz einfach!

Die ‚Oma’ hatte ihre Wiese erreicht. Seelenruhig und anscheinend in der Gewissheit, in dieser Gegend völlig alleine zu sein, nahm sie eine große Kurve, um fast in gerader Richtung auf der Wiese zum Stehen zu kommen.

Bernd und Daniela schüttelten den Kopf.

Wie unbekümmert diese ‚Oma’ ihr Ziel verfolgt hatte! Vielleicht war sie gerade deswegen noch so rüstig und resolut!

 

Nach einer wahren Begebenheit!

 

© Helga Salfer