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Die
Hütte am See
Margit
und Tom parken ihren Golf auf dem großen Parkplatz. Durch die Sträucher sehen
sie bereits den See, dessen Wasseroberfläche in der Sonne glitzert. Wie
jedes Wochenende im Sommer – wenn
das Wetter es zulässt – kommen sie hierher. Beide sind leidenschaftliche
Schwimmer. Nachdem
sie ihre Badesachen aus dem Kofferraum genommen haben, schlagen sie den Weg zu
einer einsamen Bucht ein, die sie schon beinahe ihr eigen nennen, da sich kaum
ein Besucher dort aufhält. Außer einer kleinen verlassenen Bretterbude, die
fast zusammenfällt, scheint die Idylle beinahe unberührt. Tom
hatte dieses Fleckchen durch einen Zufall im vergangenen Sommer entdeckt. Margit
war sogleich begeistert gewesen. Hier konnten sie wunderbar im See schwimmen, in
der Sonne liegen und träumen, ohne durch Kofferradios oder laute Unterhaltung
anderer Badegäste gestört zu werden. Wenige
Minuten später erreichen sie ihr Paradies. Tom
lässt alles auf den Boden fallen und streckt die Arme aus. „Ist
das nicht ein herrliches Fleckchen Erde? Dazu der azurblaue Himmel. Schau mal,
wie er sich im See spiegelt. Ich kann es kaum abwarten, ins kühle Nass zu
springen.“ Margit
lächelt. Sorgfältig breitet sie eine große Decke auf dem Boden aus. „Hoffentlich
hält sich das Wetter. Sie haben für heute Nachmittag ein Gewitter vorher
gesagt. Aber noch sieht es ja nicht nach Eintrübung aus.“ „Ach
was, die vertun sich doch ewig. Auf diese Prognosen kann ich verzichten, Komm,
lass uns zuerst einmal eine Runde schwimmen.“ Tom
wirft seine Jeans und sein T-Shirt auf die Decke und rennt los. Das Wasser des
Sees spritzt zu allen Seiten weg, als er sich in die Fluten stürzt. Er
ist bereits einige Meter in die Mitte des Sees geschwommen, als Margit zunächst
einmal vorsichtig die Wassertemperatur testet. Sie
wirft einen kurzen Blick zurück zum Ufer, mehr zufällig, wie, um zu
kontrollieren, ob noch alles an seinem Platz sei. „Ich
spinne doch“, murmelt sie vor sich hin. Sie
sieht die ausgelegte Decke mit ihren Kleidungsstücken darauf und die braune
kleine Hütte, deren Dach von der Sonne beschienen wird. Alles ist friedlich. „Suchst
du mich? Ich bin doch hier“, neckt Tom sie. „Quatsch!“
Margit schüttelt lachend den Kopf. „Ich
wollte mich eben nur noch einmal vergewissern. ...“ „Ob
uns auch keiner bestiehlt? Du weißt doch, hier kommt niemand hin. Wir haben es
bisher auf jeden Fall noch nicht erlebt.“ „Du
hast ja Recht. Es war nur so ein Gefühl. „Ach,
deine Gefühle – vergiss es. Wollen wir bis zur nächsten Bucht schwimmen, da,
wo wir vorige Woche die kleine Entenfamilie im Schilf entdeckt haben?“ „Ja,
ja klar. Wer ist zuerst da?“ „Ich
natürlich“, protzt Tom und spritzt Margit eine Ladung Wasser ins Gesicht. „Du
Taugenichts, wart’ s nur ab. Ich kriege dich schon.“ Beinahe
gleichzeitig erreichen sie ihr Ziel. Heute
halten sich jedoch keine Enten hier auf. „Schade,
heute scheinen die Tiere sich einen anderen Platz zum Verweilen ausgesucht zu
haben“. Margit streicht sich die nassen Haare aus dem Gesicht und schaut zum
Himmel, der sich ein wenig bewölkt hat. „Schau mal, Tom, die Wolken da oben,
sieht nicht so gut aus. Ob es doch ein Gewitter gibt?“ „Och,
die paar Wölkchen sind schon nicht so schlimm. Verziehen sich vielleicht auch
wieder so schnell, wie sie gekommen sind. Eben war der Himmel doch noch
einheitlich blau gewesen.“ Tom
sollte sich gewaltig irren. In
kürzester Zeit verdunkelt sich die Sonne immer mehr und verschwindet endlich
ganz hinter einer grauen Wolkenmasse. Vereinzelt fallen bereits die ersten Regentropfen. „Was
machen wir denn jetzt?“ Margit sieht Tom fragend an. „Am besten klettern wir
ans Ufer und laufen am See entlang zurück.“ „Der
Regen macht nichts. Wir schwimmen, Margit. Der Weg entlang am Ufer ist länger
und nass sind wir ja sowieso schon.“ Ein
fernes leises Grollen lässt beide aufhorchen. „Hm,
vielleicht sollten wir dennoch deinem Vorschlag folgen und zu Fuß gehen. Bei
Gewitter ist es besser, das Wasser zu meiden.“ Margit
nickt stumm. In
wenigen Schwimmzügen erreichen sie das Ufer. „Abgekühlt
ist es auch schon. Lass uns schnell laufen, Tom. Mir ist kalt, und das Gewitter
scheint schnell näher zu kommen, die Wolken verdichten sich immer mehr.“ Zehn
Minuten später hat der Regen bereits zugenommen, und der Donner ist deutlich zu
hören. Frierend erreichen Margit und Tom ihre Bucht. Sie
stürzen sich auf ihre Sachen, raffen sie zusammen, um sich in der
kleinen Hütte vor dem Unwetter zu schützen. Ungläubig
starrt Margit auf den Boden. „Unsere
Decke ist weg, sieh mal, Tom.“ „Macht
nichts. Der Wind wird sie ins Gebüsch geweht haben. Komm, pack dir deine Sachen
und lauf schnell zur Hütte. Dort haben wir wenigstens vor dem Regen Schutz.“ „Ist
sie überhaupt offen?“ „Vorige
Woche war sie offen.“ „Was?
Woher weißt du das denn?“ „Ich
habe nachgesehen, als du schliefst. Wollte einfach wissen, wie es drinnen
aussieht. Durch das kleine Fenster habe ich nicht viel sehen können, deshalb
habe ich die Türe geöffnet. Es sind ein paar Bretter drinnen und ein alter
Stuhl. Den hat wohl irgendjemand nicht mehr brauchen können und einfach hier
abgestellt.“ „Sie
ist geschlossen, Tom.“ Margit rüttelt an der Türe. „Ach
was, sie wird klemmen, lass es mich einmal versuchen.“ Tom schiebt Margit
beiseite. Mit
einem kräftigen Ruck versucht er, die Türe zu öffnen. Aber auch er schafft es
nicht. Er schlägt kräftig mit der Handfläche gegen das Holz. Doch nichts rührt
sich. „Verflixt,
vorige Woche war sie offen. Wer soll sie denn abschließen? Da ist ja noch nicht
einmal ein Schloss drauf, siehst du?“ „Wir
laufen schnell zum Auto, zum Parkplatz ist es ja nicht mehr so weit“, schlägt
Margit vor, dann ...“ Noch
ehe sie den Satz beendet hat, öffnet sich plötzlich die Türe. „Siehst
du? Ich wusste es ja, sie ist unverschlossen, denn ...“ Mitten
im Satz bleibt Tom der Mund vor Staunen offen stehen. Vor
ihm steht ein kleiner gebückter Mann mit einem schlohweißen Bart. Seine linke
Hand umklammert den Griff eines Stockes, auf den er sich schwerfällig stützt.
Seinen mageren Körper umhüllt eine Wolldecke. Sprachlos
starren Margit und Tom den Fremden an. „Was
machen Sie denn hier?“ Tom schaut den Alten forschend an. „Sind Sie auf
Ihrem Spaziergang auch vom Gewitter überrascht worden?“ Der
alte Mann blickt zu ihm auf und schaut ihn mit wachen Augen an. „Ihr
solltet herein kommen, sonst erkältet ihr euch noch in eurer Badekleidung.
Leider kann ich euch keine trockenen Kleider oder Handtücher anbieten. Aber
seit dennoch willkommen in meinem bescheidenen Heim.“ Tom
runzelt die Stirn. „Ihr
Heim? Sie wollen mir doch wohl nicht sagen, sie würden hier leben?“ Im
Innern der Hütte erhellt ein kleiner Lichtschein, der durch das
Fenster fällt, die spärliche
Einrichtung. Tom erkennt die Bretter, die er vor einer Woche durch das Fenster
erspäht hatte. Er
hatte vermutet, es seien irgendwelche Bretter, die für nichts mehr zu
gebrauchen seien und hier von irgendjemandem abgelegt worden waren. Nun erkennt
er eine primitive Schlafstätte direkt unter dem Fenster,
einen wackeligen Tisch und den Stuhl, den er ebenfalls schon kannte. „Die
Decke ....“, Margit zeigt auf ihre bunte Wolldecke, die der Mann eng an seinen
Körper zieht, „sie ist von ...“ Tom
stößt sie leicht von der Seite an und schüttelt stumm den Kopf. „Ich
habe diese schöne warme Decke draußen gefunden – hier - wenige Meter von
meiner Hütte entfernt“, beginnt der Alte zu sprechen. „Ich friere immer so.
Nein, leben tue ich hier nicht. Aber im Sommer komme ich öfters hierher, weil
ich den Blick auf den See genieße und die schöne Natur um mich herum. Oft ist
es dann schon so spät geworden, dass ich in der Hütte übernachtet habe. So
habe ich es auch in der letzten Nacht wieder gemacht. Als es nun zu regnen
begann, war mir gleich so kalt. Da habe ich die weiche Decke gesehen.“ Während
er die letzten Worte spricht, wird die Türe mit einem heftigen Ruck
aufgerissen. Margit
entfährt ein entsetzter Schrei. Vor
ihnen stehen zwei Polizisten, die mit scharfer Stimme Hände hoch sagen. „Haben wir dich endlich gefunden!" antwortet einer von ihnen und wendet sich dem Alten zu.
"Dachte ich es mir doch, dich hier zu finden! War unsere Vermutung also
richtig! Jetzt
ist es aber vorbei mit deinen Spielchen! Du führst uns nicht mehr an der Nase
herum!“ „Aber
er sucht doch hier nur Schutz vor dem Regen“, entfährt es Tom. „Was wollen
Sie von ihm? Er hat Ihnen doch nichts getan.“ „Haben
Sie eine Ahnung! Sie beide“, einer der Polizisten deutet mit dem Kinn auf Tom
und Margit, „suchen hier vor dem
Gewitter Schutz, aber er? Alles Maskerade! Einen Banküberfall und einen Mord an
einem Angestellten hat er auf dem Gewissen! Komm her, mein Freund! Weg jetzt mit
dem Stock! Und dem Bart! Und der Perücke! Und gerade stehen!“ Mit
einem raschen Handgriff zieht er dem alten Mann die Maske vom Gesicht. Margit
glaubt zu träumen. Mit weit aufgerissenen Augen schaut sie auf die Person, die
Minuten vorher noch so zerbrechlich und mitleiderregend vor ihnen gestanden
hatte. Aus
dem gebrechlichen gebeugten Alten wird ein großer junger Mann mit schlanker
Figur und kurzgeschnittenen Haaren. Seine eben noch so gütig drein blickenden
blauen Augen sehen nun voller Hass um sich. Er sieht keine Fluchtmöglichkeit
und presst die Lippen zusammen. „Ich
war es nicht“, zischt er die Polizisten an. „Ich werde es euch beweisen.“ Margit,
die sowieso schon vor Kälte zittert, laufen kalte Schauer den Rücken herunter.
Unkontrolliert klappern ihre Zähne aufeinander. Geistesgegenwärtig
greift Tom nach der zu Boden gefallenen Wolldecke und legt sie Margit schützend
um die Schultern. Auch ihn packt das kalte
Grauen. „Das
ist ja wie in einem Kriminalfilm“, flüstert er Margit zu. „Ich glaube es
nicht!“ „So,
ab mit dir!“ Die
beiden Polizisten nehmen den fremden Mann in ihre Mitte und verlassen mit ihm die Hütte.
Die wackelige Holztüre fällt hinter ihnen zu. Margit
und Tom steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Hier – wo sie sich immer so wohl gefühlt
hatten, hatte sich ein Mörder versteckt gehalten. Sie können noch gar nicht
fassen, was sich da gerade vor ihren Augen abgespielt hat. - „Wer
weiß, was er mit uns gemacht hätte, wenn die Polizei nicht gekommen wäre!“ Margit
schlägt die Hände vors Gesicht. Tom
nickt. „Mit
Sicherheit hatte er Bedenken, wir könnten ihn verraten, obwohl wir ja noch
nicht bemerkt hatten, dass er sich verkleidet hatte. Hier in dem Dämmerlicht
fiel das ja gar nicht so auf. Trotzdem – so ganz wohl war ihm in seiner Haut
sicher nicht, als er uns vor der Türe stehen sah.“ Margit
schlottert am ganzen Körper vor Angst. Sie hat nur noch einen einzigen Wunsch: *So
schnell wie möglich weg von hier!“
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