Eine prekäre Situation
An diesem
sonnigen Spätsommernachmittag ist das Eiscafé auf der Hauptstraße sehr gut
besucht. Patricia und
Kerstin ergattern gerade noch zwei Plätze an einem Ecktisch, von wo aus sie die
Straße sowie die Besucher des Cafés gut im Auge haben. Die Beiden
tun nichts lieber, als Leute beobachten und – natürlich bei der Hitze – Eis
essen! Sie
bestellen sich einen dicken ‚After Eight Becher’ ! Während
Kerstin sich voll und ganz auf Ihr Eis konzentriert, wandern Patricias Augen
immer wieder zu den Gästen an den Nachbartischen. Plötzlich
werden ihre Augen riesig. Sie lässt ihren Löffel zurück in den großen
Eisbecher sinken. Mit Mühe schluckt sie das Eis, das sie gerade noch im Mund
hatte, herunter. Dann prustet sie los. Kerstin
blickt ihre Freundin erstaunt an. „Was ist
denn mit dir los?“ Patricia hält
sich die linke Hand vor den Mund, um nicht laut los zu lachen. Sie legt den Löffel
aus der rechten Hand und macht eine eindeutige Bewegung mit dem Kopf in Richtung
Nachbartisch. Kerstin fällt
jedoch nichts Besonderes an der Frau und dem Mann auf, die dort friedlich ihren
Eiskaffee trinken. Sie sieht
Patricia an und zuckt mit den Schultern. „Was ist
denn da? Mir fällt absolut nichts Lustiges auf! Die Beiden sind ein altes
Ehepaar – gut - ! Was ist da Witziges dran?“ Patricia
zieht ein Taschentuch aus ihrer Tasche. Wie um sich dahinter zu verstecken,
putzt sie sich zum Schein die Nase. Hinter dem vorgehaltenen Tuch flüstert sie
Kerstin kichernd zu: „Guck doch mal unter den Stuhl der Frau! Siehst du?“ „Ich sehe
nichts!“ antwortet Kerstin ernst und schüttelt den Kopf. „Mensch,
Patricia, sei doch nicht so albern, du spinnst! Was soll die denn unter ihrem
Stuhl haben, was wir nicht auch haben, nämlich Pflastersteine!“ „Die hat
aber noch etwas anderes, guck doch genau hin, dann siehst du es! Glaubst du
denn, die Pfütze unter ihrem Sitz kommt von selbst dahin, wo es seit zwei
Wochen keinen Tropfen mehr geregnet hat?“ „Na
vielleicht hat jemand ein Glas umgeschüttet oder Eis ist herunter gefallen und
geschmolzen.“ „Quatsch!
Die sitzen doch schon eine Weile da. Es ist doch nichts geschehen. Und übrigens
würde ein Glas Wasser bestimmt nicht genau unter die Mitte des Stuhles gelaufen
sein, eher rechts oder links davon – oder?“ „Ja
und?“ „Wie –
ja und! Das hier ist doch wohl eindeutig! Kann bei älteren Leuten doch schon
einmal unkontrolliert passieren.“ Kerstin
tippt sich mit dem Finger an die Stirn und lacht. „Patricia,
nichts gegen deine blühende Fantasie, aber übertreibst du jetzt nicht?“ „Wieso! Wo
soll’s denn her kommen, das Wasser!“ Sie greift
erneut zu ihrem Löffel, behält aber die Wasserstelle am Nachbartisch genau im
Auge. „Also
jetzt reicht es aber! Du kannst dieser Frau
doch nicht einfach unterstellen, sie hätte nicht gemerkt ...“ „Weiß ich
doch nicht. Ist nun einmal passiert.“ „Ich
glaube es einfach nicht, Patricia! Du bist verrückt!“ „Bin ich
nicht. Ich werde es dir beweisen. Pass auf!“ „Beweisen?
Wie denn?“ „Ganz
einfach! Warte es ab! Wenn die gleich bezahlt haben und aufstehen, dann ...“ „Was
dann?“ „Herrgott,
Kerstin!“ platzt Patricia heraus.
„Was wohl dann?“ „Du bist
unmöglich, Patricia.“ „Da!“
Patricia stupst Kerstin mit dem Ellenbogen an. „Sie bezahlen! Jetzt werden wir
es gleich wissen!“ Die
Schokolade von Patricias After Eight Plättchen, das im Eis steckt, beginnt
bereits langsam zu schmelzen. Dann kommt
der große Moment. Patricia tropft das Eis vom Löffel zurück in ihren Becher,
weil sie nur noch Augen für das Ehepaar hat, genau genommen für die Frau, für
deren Rückenteil im unteren Bereich. Aber dann
kommt ein überraschtes „oh“ aus Patricias Mund. Verblüfft stellt sie fest, dass sich ihre Vermutung nicht bestätigt.
Sprachlos schaut sie Kerstin an und schüttelt verständnislos den Kopf. „Da hast
du es, Patricia! Also doch ein Glas Wasser ! Habe ich ....“ Doch dann
verstummt sie mitten im Satz. In der Hand hält die Frau eine weiße Plastiktüte,
aus der in einem dünnen Rinnsal Wasser heraus läuft. Als sie die
neugierigen Blicke der beiden Mädchen bemerkt, geht sie zu ihnen hin und zeigt
ihnen die drei Goldfische, die sie aus einer Zoohandlung für ihren Enkel
gekauft hat. „Leider
ist die Tüte nicht stabil genug. Ich habe sie schon vorsichtig vor mir auf
meinem Stuhl festgehalten. Aber jetzt muss ich schnell damit zu meinem kleinen
Michi. Der wird sich freuen.“ Als das
Ehepaar bereits gegangen ist, muss Patricia immer noch lachen. Ihr Eis ist
inzwischen so flüssig geworden, dass sie ihren ’ After Eight Becher’ nur
noch trinken kann. |