Ausschnitt aus dieser Geschichte
Als ihr der Posten als Leiterin
der Werbeabteilung angeboten wurde, hätte sie vor Begeisterung die ganze Welt
umarmen können. Ihr größter Traum war in Erfüllung gegangen.
Welche negativen Nebenwirkungen sich daraus ergeben würden, hatte sie in diesem
Moment nicht bedacht.
Sie war fest davon überzeugt gewesen, Lena, Tom und Oliver, ihre engsten
Mitarbeiter und Freunde, würden ihre Freude mit ihr teilen.
Gedankenverloren greift Jana nach dem Champagnerglas, das ihr auf einem Tablett
angeboten wird. Sie nippt lustlos an dem teuren Getränk.
„Hallo Frau Draeger! Endlich! Da sind Sie ja! Ich habe Sie schon gesucht! Sie
sehen einfach umwerfend aus!“
Jana dreht sich um und blickt in die Augen des Junior-Chefs.
„Kommen Sie! Mein Vater hat Sie bereits vermisst! Er möchte Sie einigen
interessanten Leuten vorstellen, mit denen wir in Zukunft unsere Geschäfte
abwickeln werden!“
Er berührt leicht ihre Schulter und lächelt sie freundlich an.
Jürgen kann seinen Vater gut verstehen, Jana ist eine kompetente Frau, in jeder
Beziehung. Sie ist nicht nur attraktiv, sondern sehr redegewandt und
selbstbewusst. Ihre Intelligenz und ihr Einsatzvermögen machen sie zu einer
unentbehrlichen Mitarbeiterin.
Jana zuckt bei seiner Berührung zusammen.
„Guten Abend, Herr Braun! Danke!“ Ein flüchtiges Lächeln huscht über ihr
Gesicht.
„Tut mir Leid, dass ich mich etwas verspätet habe. Mir ist noch ein Anruf
dazwischen gekommen“, lügt sie ihn an.
„Hauptsache Sie sind jetzt da!“
Mit einem Seitenblick bemerkt Jana die Blicke ihrer drei Freunde auf sich
gerichtet. Als sie sie gerade grüßen will, wenden sie sich abrupt ab. Janas Herz
verkrampft sich vor Enttäuschung. Dann atmet sie tief durch. Sie will sich ihrem
Chef gegenüber nichts anmerken lassen. Mit allergrößter Mühe gelingt es ihr
schließlich, ihm mit strahlender Miene gegenüber zu stehen. Sie spürt seinen
Stolz, als er sie den Geschäftsleuten als seine beste Kraft vorstellt und wird
ein wenig unsicher, bei so viel Lob und Bewunderung.
Eigentlich müsste ich glücklich sein, denkt sie. Ich habe einen Traumjob,
verdiene gutes Geld und mein Chef lobt mich über ‚den grünen Klee’. Aber ein
toller Posten in der Firma ist eben nicht alles. Wie gerne würde ich als
einfache Angestellte arbeiten und dafür jede freie Minute mit meinen ehemaligen
Freunden verbringen. Ich wäre eine von ihnen, und sie würden mich nicht links
liegen lassen.
Jetzt erlebt sie am eigenen Leib, was es heißt, auf der Karriereleiter
aufzusteigen. Nur allzu deutlich wird ihr klar – „Erfolg macht einsam!“
„Frau Draeger?“ dringt Herr Brauns Stimme an ihr Ohr. „Wie sehen Sie unser
Projekt? Haben Sie noch Verbesserungsvorschläge zu machen? Sie wissen, mir liegt
sehr viel an Ihrer Meinung!“
Jana fährt sich mit der rechten Hand durch ihre langen Haare und schüttelt den
Kopf.
„Nein! Ich denke, wir haben unsere Ziele klar abgesteckt. Jede Änderung würde es
nur verschlechtern!“
Herr Braun nickt zustimmend und mustert Jana wohlwollend.
„Sie sehen, meine Herren, es ist alles perfekt. Wenden wir uns doch jetzt den
angenehmen Seiten des Abends zu. Frau Draeger, begleiten Sie mich ans Büffet?
Meine Herren, darf ich Sie bitten, mir zu folgen?“
Jana spürt förmlich die neidischen Blicke der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
auf sich ruhen. Sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln. Tränen steigen ihr
in die Augen. Sie hat stets geglaubt, stark zu sein.
„Ich verstehe nicht, warum alle meinen, ich hätte mich verändert. Dabei bin ich
doch die Gleiche geblieben“, murmelt sie leise.
©
Helga Salfer
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