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Männliche Eitelkeit

 

 

 

Andreas stand vor dem Badezimmerspiegel und rasierte sich sorgfältig die lästigen Bartstoppeln weg. Aufmerksam betrachtete er dabei sein Gesicht im Spiegel. Er war ein Mann in den besten Jahren.

Mit Ende Dreißig hatte er immer noch die Figur eines Jünglings, worauf er sehr stolz war Er achtete stets streng auf seine Essgewohnheiten, Kein Gramm Fett war an seinem durchtrainierten Körper zu viel. Sein Bauch war flach wie ein Brett.

Schließlich verbrachte er ja auch jede freie Minute im Fitnessstudio, spielte Tennis, joggte und besuchte regelmäßig die Sauna.

Seine gebräunte Haut zeigte noch keinerlei Falten, höchstens ein paar Lachfältchen um die Augen herum, was seiner Wirkung auf Frauen jedoch keinen Abbruch tat. Er

war sich seiner positiven Ausstrahlung auf das weibliche Geschlecht  durchaus bewusst.

Dennoch gab es etwas, das ihm einige Sorgenfalten auf die Stirn trieb    die ersten grauen Haare!

Jeden Morgen prüfte er genau, ob neue hinzu gekommen waren. So lange es nur einzelne Haare waren, hatte er sie ausgezupft. Doch inzwischen waren es zu viele geworden.

Er versuchte, den Scheitel auf der linken Seite zu ziehen. Doch kurze Zeit später stellte ihn das Ergebnis auch nicht mehr zufrieden. Seine braunen Haare durchzogen sich mehr und mehr mit grauen Fäden.

Besorgt schaute er sich seine Haarpracht an und fasste schließlich den Entschluss, sie ganz kurz schneiden zu lassen. So, meinte er, würde der kleine ‚Grauschimmer’ weniger auffallen.

Beim Friseur beobachtete er interessiert, mit welcher Selbstverständlichkeit der Stylist seinen männlichen Kunden die Haare färbte.

Ob ich meine Haare ebenfalls färben sollte? Mein jugendliches Aussehen will ich unbedingt beibehalten, dachte er bei sich und griff nach einer Zeitschrift, in der die neuesten Schnitte und Farben für Männer präsentiert wurden.

„Schneiden, Waschen, Fönen? Oder darf es auch eine Tönung sein?“

Andreas blickte überrascht hoch. Neben ihm stand eine junge Frau, die ihn freundlich anlächelte.

„Wir hätten da etwas Spezielles, um die ersten grauen Haare wirksam für einige Zeit abzudecken. Es ist wie ein Shampoo. Sie waschen es einfach in die Haare ein.“  

Andreas sah sie verdutzt an.

„ Mein Gott, ich sehe wohl schon so grau aus wie ein Esel?“ murmelte er vor sich hin.

„Nein! Auf gar keinen Fall“, warf die nette Dame ein. „Aber Sie sehen so sportlich und jugendlich aus. Zu Ihnen passen einfach keine grauen Haare. Das ist doch etwas für ältere Männer. Da gehören Sie doch noch lange nicht zu.“

Andreas straffte die Schultern und räusperte sich. So viel Lob von einer jungen, hübschen Frau gingen ihm wie Honig herunter. Er setzte sein charmantestes Lächeln auf und schaute zu ihr auf.

„Sie meinen also, ich sollte es versuchen, das mit dem Tönen?“

„Aber sicher! Ein Mann mit Ihrem Aussehen! Da ist es schon beinahe eine Verpflichtung, den grauen Haaren den Garaus zu machen. Man sieht nicht oft so attraktive Männer hier im Salon“, antwortete sie leise, worauf sie ein wenig verlegen wurde.

„Entschuldigen Sie meine Offenheit! Sind Sie ein Dressman?“

Andreas schmunzelte und schüttelte verneinend den Kopf.

„Sie sehen so aus wie die Models aus den Zeitschriften: groß, schlank, elegant, sehr gepflegt, durchtrainiert.“

Andreas spürte den Blick der jungen Frau, die vor ihm stand, auf sich ruhen. Und es tat ihm sehr gut.

„Darf ich Ihnen denn einmal die Farbe zeigen, die für Sie infrage käme?“

„Ja gerne“, stimmte Andreas ihr zu.

„Dann nehmen Sie doch hier bitte schon einmal Platz.“

Die Friseurin  beherrschte ihr Handwerk. So konnte Andreas schon kurze Zeit später  seine dunkle Haarpracht bewundern, wobei er übers ganze Gesicht strahlte.

„Das sieht ja wirklich echt aus! Wunderbar! Nirgendwo mehr ein graues Haar. Und es wäscht sich nicht sofort wieder heraus?“ fragte er besorgt.

„Nein! Da machen Sie sich keine Gedanken. Ein paar Wochen hält es schon!“

Staunend besah sich Andreas im großen Spiegel. Was er da sah, gefiel ihm außerordentlich gut.

„Jetzt sehen Sie noch jünger aus, als vorher!“ Die junge Frau besah sich ihr Werk mit großen leuchtenden Augen. „Es sieht toll aus, finden Sie nicht auch?"

Andreas nickte stolz. Er war froh, dieses Haarproblem, das ihm schon einige Zeit Sorgen bereitet hatte, nun gelöst zu haben.

Bestens gelaunt verließ er den Friseurladen und beschloss sogleich, sich nun auch einen neuen schicken Anzug zu leisten. In jedem Schaufenster, an dem er vorbei ging, besah er sich wohlwollend sein Spiegelbild.

Vor einem extravaganten Geschäft für Herrenmode blieb er stehen und betrachtete sich eingehend die Auslagen. Kurzentschlossen trat er ein. Ein älterer Herr mit einem leichten Bauchansatz kam sofort auf ihn zu und fragte ihn nach seinen Wünschen.

„Ich hätte gerne einen hellgrauen Anzug! Schurwolle bitte, wenn möglich!“

„Natürlich!“ Der Verkäufer musterte Andreas kurz und kam nach wenigen Minuten mit einem sehr edlen Teil auf dem Arm zurück.

„Ich glaube, das ist genau das Richtige für Sie. Bei Ihrer tadellosen Figur wird er Ihnen wie angegossen passen. Und die Farbe passt ebenfalls zu einem so dynamischen Menschen wie Ihnen.“

Andreas probierte den Anzug an, der tatsächlich exakt saß. Während er sich vor dem Spiegel drehte, sah er aus den Augenwinkeln die bewundernden Blicke des Verkäufers auf sich gerichtet.

„Wie ich es gesagt habe! Der Anzug ist perfekt. Nicht jeder kann so etwas tragen. Aber Sie sind ja so schlank!“

„Ja, ich bin auch sehr darauf bedacht, mein Gewicht zu halten und treibe viel Sport.“

„Das glaube ich Ihnen gerne“, meinte der Verkäufer freundlich.  „Sie sind ja auch noch ein junger Mensch!“

Andreas musste innerlich lächeln. Hingebungsvoll musterte er sich von Kopf bis Fuß.

Er sah ohne Übertreibung blendend aus. Und jung!

Was will Mann mehr?  

  ©  Helga Salfer