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Überraschung von oben

    

Lea und ihre Freundin Nina haben es sich in ihren Gartenstühlen auf der Terrasse gemütlich gemacht. Die beiden alten Damen unterhalten sich angeregt über vergangene Zeiten.

Vor ihnen, auf dem Gartentisch, steht eine dicke Sahnetorte und eine Kanne mit dampfendem Kaffee.

„Ach Lea, ist das wunderschön hier!“ Nina zupft an ihrem Strohhut, den sie sich zum Schutz gegen die Sonne aufgesetzt hat.

„Ja, da hast du recht. Mir gefällt es auch sehr gut. Ich habe nette, freundliche Nachbarn. Was kann man sich mehr wünschen!“

„Hm!“ Nina nickt zustimmend und isst genüsslich ein Stück Torte.

Während sie mit vollen Backen kaut, spürt sie plötzlich etwas Feuchtes auf ihrer Hand. Erstaunt blickt sie in den blauen Himmel. Regen?

„Lea? Es regnet. Sieh mal, der Tropfen da!“

„Ach was, Nina! Vielleicht hast du mit dem Kaffee geschlabbert. Es ist doch herrliches Wetter!“

Lea schüttelt den Kopf. Nina ist schon manchmal recht merkwürdig. Das mit dem Regen – was sollte das? Sie sieht doch selber, dass die Sonne scheint. Von Regen keine Spur.

„Also, Lea! Jetzt guck genau hin! Es tropft ja von meinem Hutrand herunter auf den Kuchenteller. Ich spinne doch nicht!“

Lea sieht zunächst nicht hin. Und ob du spinnst, denkt sie. Mit einem Seitenblick schaut sie auf Ninas Hutrand, von dem tatsächlich ein paar Tropfen auf den Teller fallen.

„Vermutlich ist es die Hitze, Nina. Setz den Hut ab, dann kommt mehr Luft an deinen Kopf. Das ist kühler.“

„Ich weiß nicht! Aber eigentlich schützt er mich ja vor der Sonne. Nein, nein, ich lasse ihn lieber auf. Gibst du mir noch ein Stück von der herrlichen Torte, Lea! Die ist wirklich vorzüglich. 

Mit verzücktem Gesicht genießt Nina den Kuchen. Nach drei Stücken lehnt sie sich satt und zufrieden in ihrem Gartenstuhl zurück und streicht sich behutsam über ihren Bauch.

„Lea, ich habe viel zu viel gegessen. Ich dürfte eigentlich ... „

Erschrocken zuckt sie zusammen, als sie ein klatschendes Geräusch vernimmt. Sie hat das Gefühl, als ob jemand ihren Hut von oben eindrücken würde.

„Also, Lea!“ entrüstet sie sich. „Was war das denn schon wieder? Hast du es auch bemerkt!“

„Nein, ich weiß gar nicht, wovon du redest, Nina! Was ist denn heute los mit dir?“

„Ja, glaubst du denn, ich mache Spaß?“ Sie greift mit der Hand auf ihren Hut. Ihre Finger baden bereits in einer kleinen Pfütze. Blitzschnell zieht sie sie zurück und beugt sich zu Lea herüber.

„Guck dir das an!“ Sie senkt den Kopf. „ Da oben auf meinem Hut.“

Ehe Lea sich versieht, läuft ein kleines Rinnsal von Ninas Hut auf ihren Schoß.

„Na, da hast du es!“ Nina sieht sie triumphierend an. „Ich bin noch nicht blöd, Lea!“

Lea starrt sprachlos auf die nasse Stelle.

„Verstehe ich nicht“, murmelt sie vor sich hin. „Bei dem herrlichen Wetter? Wo kommt denn bloß das Wasser her?“

Sie hebt ihr Gesicht und schaut in den Himmel. Im gleichen Moment ergießt sich von oben ein Schwall Wasser direkt über ihren Kopf.

Ruckartig wirft Lea den Kopf herum.

Jetzt fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Frau Meyer! Klar! Diese schreckliche Person! Immer gießt sie die Blumen wie wild. Die Hälfte des Wassers landet regelmäßig auf ihrer Terrasse. Jedes Mal muss sie alles wegstellen, wenn diese Frau wieder ihre Blumenkästen tränkt.

„Ha, ha!“ Nina lacht ihre Freundin aus. „Ha, ha, ha, meine liebe Lea! Na? Nass geworden?”

Sie folgt Leas Blick. Im letzten Augenblick kann sie selbst haarscharf einem erneuten Guss ausweichen.

„Von dem Balkon da oben – da kommt der angebliche „Regen“ her, Lea?“

Lea nickt. Ihr ist die ganze Sache peinlich.

„Nina“, beginnt sie zögernd, „entschuldige, dass ich ...“

„Ach, du Dumme!“ kichert Nina. „War nicht schlimm. Ist ja nichts passiert. Bei der Hitze wollte deine Hausbewohnerin uns vielleicht ein wenig Abkühlung verschaffen. Ist ihr doch gut gelungen. War doch eine recht angenehme kühle Überraschung von oben.“

Amüsiert rückt Nina sich ihren Hut wieder zurecht und blinzelt ihrer Freundin zu. Lea wischt sich mit der Serviette durchs Gesicht. Dann trinken sie in Ruhe ihren Kaffee weiter.

 

  © Helga Salfer