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Der Weihnachtsbaum
 

   

 

Mit großen Augen bestaunen Felix und Jule die Tannenbäume, die auf dem Gelände des Gartencenters verkauft werden.

„Die sind aber schön. Schau mal, Papi, der da vorne in der ersten Reihe, sollen wir den nehmen? Er gefällt Mami bestimmt auch gut“

Felix läuft zu dem Baum hin und versucht, ihn aufzurichten. Seine kleinen Hände zupfen ungeduldig an den Ästen.

„Er ist viel zu groß, Felix. Obwohl, du hast Recht, es ist ein stattlicher Baum. Aber die Mami hat auf einer kleinen Tanne bestanden, die wir – wie jedes Jahr – auf unsere Kiste stellen wollen.“

„Och, Mensch, wie schade!“ Jule zieht ein Grimasse. „Immer so einen kleinen Baum. Sabine’ s Eltern kaufen einen riesengroßen, der geht fast bis unter die Decke und steht auf dem Fußboden.“

„Warum steht unserer nicht auch auf dem Boden und ist 2 m hoch?“ Felix schaut seinen Vater fragend an. „Alle Familien kaufen große Bäume, nur wir nicht.“

„Alle Leute? Woher weißt du das denn“, wirft der Vater lachend ein. „Ein Baum ist nicht schön durch seine Größe. Er muss einen ansehnlichen Wuchs vorweisen können mit gleichmäßig verteilten, weit ausgreifenden Zweigen. Was nutzt da ein langer Baum, der oben kaum mehr Zweige hat?“

Felix tritt mit dem Fuß einen kleinen Stein zur Seite und scharrt mit der Fußspitze seines Stiefels in den weichen Boden.

„Warum stehen denn hier nur große Bäume, Papa?“ Jule fährt mit dem Zeigefinger die lange Reihe der Bäume entlang.

„Passt auf, die kleinen, schön gewachsenen, stehen mittendrin. Wir haben eben keinen Platz für einen solch riesigen Baum. Ein kleiner hat in jedem Jahr hübsch ausgesehen. Wir stellen die vordere Reihe mit den großen Tannen etwas zur Seite. Bestimmt kommen dann die wahren Schätze erst zum Vorschein.“

Felix zuckt leicht mit den Schultern, während Jule ihm einen zweifelnden Blick zuwirft.

„Kommt mal her, ihr Beiden! Wie findet ihr diesen Baum?“

Der Vater zerrt eine kleine Tanne hervor, die kaum größer als Felix ist.

Die Kinder schauen sich mit offenem Mund an.

„Papa, der ist viel zu klein. Der passt ja auf meinen Schreibtisch. Das ist doch kein Weihnachtsbaum!“

Jule starrt ihren Vater entsetzt an.

„Der ist ja kaum größer als du, Jule“, kichert Felix. „Da können wir gleich dich auf die Weihnachtskiste stellen und mit Kugeln und Lametta schmücken!“

„Pah!“ entfährt es Jule. „Du bist so viel größer auch nicht. Tragen kannst du ihn jedenfalls nicht!“

„Nun streitet euch nicht, Kinder. Vielleicht ist dieser wirklich ein bisschen zu mickrig. Seht euch den daneben an. Wartet, ich hole ihn heraus, dann können wir ihn besser von allen Seiten ansehen.“

Felix und Jule schütteln den Kopf und ziehen die Mundwinkel dabei leicht nach unten.

„Oh je, ihr seid aber kritische Kunden. Dann suchen wir eben weiter.“ Lächelnd betrachtet er seine beiden Nörgler.

„Ich will einen großen Baum.“ Jule sieht ihren Vater ernst an.

„Ich auch“, erwidert Felix

„Kinder, ich habe es euch erklärt, es geht nicht!“

Felix kneift für einen Moment die Augen zusammen und runzelt die Stirn.

Jule sieht ihn erwartungsvoll an.

Sie weiß, wenn Felix so dreinschaut, hat er meistens eine brillante Idee.

„Und?“ flüstert sie ihm leise zu. „Was ist dir eingefallen? Nun sag schon, bevor Papi sich für den kleinen Zwerg entscheidet.“

„Papi?“ Felix zieht seinen Vater am Mantelzipfel.

„Ja, Felix? Sollen wir den hier nehmen? Er ist doch wunderbar gewachsen, so gleichmäßig und dicht!“

Felix schüttelt den Kopf. Er druckst ein wenig verlegen herum. Jule stupst ihn ungeduldig an.

„Nun lass schon hören“, zischt sie ihm zu.

„Papi, wir könnten doch den großen Baum nehmen und ihn ein wenig unten absägen. Dann wäre er ja kleiner. Du kannst ihn ja so sägen, dass er auf der Kiste stehend bis an die Zimmerdecke reicht, ja?“

Der Vater dreht sich zu ihm um und schaut seinen Sohn lächelnd an.

Keine schlechte Idee, geht es ihm durch den Kopf. Hätte ich auch drauf kommen können.

Wortlos nickt er Felix und Jule zu.

„Es ist aber schade um die schönen breit ausladenden Zweige ganz unten am Stamm. Was meint ihr?“

„Da können wir schön die Kiste mit verzieren, Papi“, schwärmt Jule. „Das sieht sicher toll aus.“

„Ja, so denke ich es mir auch.“ Felix zerrt bereits wieder an dem großen Baum.

„Warte, warte, Felix. Vorsichtig, sonst knickst du die Zweige.“

Der Vater nimmt eine herrliche, kerzengerade gewachsene Tanne heraus.

„Der ist genau richtig. Ja! Den wollen wir haben.“

Jule springt vor Begeisterung von einem Bein auf das andere. Felix Blick hängt fragend an den Lippen des Vaters.

„Fast zu schade zum Absägen“, murmelt der Vater vor sich hin. „Vielleicht sollten wir den Baum so belassen.“

„Sagen wir schon die ganze Zeit“, fallen ihm Felix und Jule ins Wort.

„Ihr habt mich überzeugt. Ein großer Baum sieht wirklich prächtiger aus.“

Jule blinzelt Felix zu, was so viel bedeutet wie:

Gut gemacht, großer Bruder!

 

© Helga Salfer