Die Stimme

Ausschnitt aus dieser Geschichte

"Ich weiß auch nicht," begann sie zögernd. "Es war so, als ob jemand wie Du jetzt hier an meinem Bett gesessen und mit mir geredet hätte. Das eigenartige war allerdings, dass ich keine menschliche Gestalt erkannt habe, sondern nur die Stimme gehört habe". Sie blickte Mark hilflos an.
"Ich sagte bereits, Susan, du brauchst dringend Urlaub. Deine Nerven haben dir vermutlich einen Streich gespielt. Vielleicht gönnt dir irgendjemand deine wohlverdienten Ferien nicht und hat es dir auch deutlich gesagt. Das hast du dann im Schlaf verarbeitet. So etwas kommt öfter vor. Vergiss es".

„Nein. Eben nicht. Alle, alle mir eine schöne Zeit gewünscht.“
„Und warum sollst du nicht in diesem Haus am Meer wohnen? Hat diese seltsame Stimme dir das auch erzählt?“
„Nicht so direkt. Aber es klang wie eine Warnung.“
„Eine Warnung? Wovor denn? Mensch, Susan, wach auf! Der Traum ist aus. Lass uns fahren. Komm!“ Mark stand auf und ging zur Tür.
„Dieses Haus bringt uns Unglück, Mark. Das Meer in der Nähe …, die Flut, …!“
„Aber Susan! Das ist doch nicht unser erster Urlaub an der See. Du kennst das Meer, die Gezeiten! Was soll denn passieren? Das Haus steht ja nicht auf dem Strand. Selbst bei Flut sind wir noch zwei Kilometer davon entfernt. Die Bedenken hast du noch nie gehabt.“
„Ich bin auch noch nie von einer unbekannten Stimme so ermahnt worden. Wenn wir fahren, kommen wir nie mehr zurück. Ich weiß es!“
„Du weißt es? Woher weißt du es? Das ist doch Blödsinn! Susan, wach auf! Sei vernünftig! Du hast schlecht geträumt. In Ordnung. Aber jetzt weg mit dem Müll. Lass uns frühstücken, dann kommst du auf andere Gedanken.“
„Oh nein, es war kein Traum. Es war Wirklichkeit. Ich kann auch nicht vergessen. Ich höre die Stimme jetzt noch im Ohr, so, als ob sie mir immer wieder zuraunt, ich solle die Ferien zu Hause verbringen.“
„Und warum? Ich verstehe das nicht! Frag deine Stimme!“
Susan sah Mark verstohlen an.
„Du glaubst mir nicht, Mark! Aber es ist wahr. Ich fantasiere nicht. Es ist das erste Mal, dass sich so etwas erlebe. Ich kann deine Frage nicht beantworten. Ich konnte der Stimme ja auch keine Fragen stellen. Es war wie ein Monolog. Sie hat mir nur immer wieder verdeutlicht, dass ein Unheil droht, wenn ich ihren Ratschlag in den Wind schlage. Ich kann mir das ja auch nicht erklären. Es war alles so komisch. Da war eine Stimme zu der keine sichtbare Person gehörte. Und dennoch war sie so bestimmend. Keinen Widerspruch duldend.“
„Susan, ich sag es ungern nochmals! Aber deine Nerven sind überstrapaziert. Dann kommen solche Träume vor, von denen man am morgen nicht so recht weiß, war es nun ein Traum oder Wirklichkeit gewesen. Glaub mir das. Ich habe auch schon Dinge geträumt, bei denen ich am nächsten Tag so meine Zweifel hatte. Aber sobald wir am Meer sind und du zur Ruhe kommst, hast du alles ganz schnell vergessen.

 

© Helga Salfer