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Dumm gelaufen!  

 

Unaufhörlich prasseln die Regentropfen gegen die Fensterscheibe. Düstere Wolken berühren  fast die Dächer der Häuser. Auf dem nassen Asphalt spiegeln sich die Scheinwerfer der vorüber fahrenden Autos. Es ist ein Tag wie im tiefsten November, obwohl heute der 1.Juni auf dem Kalender steht.

Da kann Frau oder Mann ja keinen Hund vor die Türe schicken! Lara schüttelt sich. Igitt, das ist ja scheußlich! Dabei will ich mir doch heute in der neuen Boutique an der Hauptstrasse das elegante schwarze Kleid kaufen. Es übersteigt zwar in hohem Maße meinen Etat. Aber was tut Frau nicht alles, um auf der Hochzeit ihrer besten Freundin gut auszusehen.

Lara geht in die Küche und bereitet sich ihr Frühstück zu.

Vielleicht hört es ja gleich auf zu regnen und die Sonne scheint wieder, denkt sie, während sie sich eine Tasse Kaffee kocht.

Doch den Gefallen tut ihr der Regen nicht. Während Lara ihre Tasse Kaffee trinkt und herzhaft in ihr Brötchen beißt, gießt es draußen gnadenlos weiter.

„Was mach ich nur?“ murmelt Lara. „Wenn ich mich da hinaus wage, bin ich in fünf Minuten völlig durchnässt. Das Kleid läuft mir bestimmt nicht weg, dafür ist es viel zu teuer. Ich kaufe es morgen! Basta!“

Sie beobachtet den Wind, der wild durch die nassen Zweige der Bäume weht.

Und was ist, wenn mir heute doch eine Käuferin zuvor kommt? Lara verwirft den Gedanken sofort wieder. Bei dem S..wetter ganz sicher nicht, tröstet sie sich.

Für einen Moment stellt sie sich vor, wie ihr das teure Stück wohl stehen würde. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Zu meinen kastanienbraunen Haaren und der gebräunten Haut sieht es bestimmt sehr gut aus.

Sie stützt den Kopf in ihre Hände. Und wenn es doch heute irgendwann verkauft wird? Verflixt, hätte ich doch gestern Abend auf dem Nachhauseweg einen kurzen Abstecher in die Boutique gemacht und mir das Kleid zurück legen lassen

Ach was! Energisch streicht sie sich eine dichte Haarsträhne aus dem Gesicht. Es hängt vermutlich morgen noch an der gleichen Stelle, wie gestern. So leicht blättert keiner ein paar Hundertmarkscheine für ein Abendkleid hin.

Lara steht auf und räumt das Frühstücksgeschirr weg. Immer wieder kreisen ihre Gedanken um das Kleid.

Am späten Abend ruft Britta, ihre Arbeitskollegin, bei Lara zu Hause an.

„Du Lara, ich bin heute in der Stadt gewesen und habe mein Konto erleichtert.“

„Schon wieder? Hattest du doch vorgestern gerade noch gemacht! Was hast du denn heute wieder nicht liegen lassen können?“

„Wenn ich dir das Teil zeige, wirst du mich verstehen! Klaus und ich sind am Wochenende bei seinem Chef zum Abendessen eingeladen, da muss ich doch etwas Entsprechendes anziehen!“

„Ja, natürlich! Wo hast du es denn her?“

„Ach, das ist eine lange Geschichte! Ich bin gestern stundenlang von Geschäft zu Geschäft gerannt, nichts gefiel mir. Du kennst mich ja!“

„Kann ich mir lebhaft vorstellen!“ Lara lächelt. „Und wo bist du letztendlich fündig geworden?“

„Tja, ist mir schon beinahe peinlich! In der neuen teuren Boutique! Du weißt schon, die im vergangenen Monat an der Hauptstrasse eröffnet wurde.“

„Das darf nicht wahr sein!“ entfährt es Lara.

„Wieso? Wieso darf das nicht wahr sein? Die haben doch tolle Sachen anzubieten, teuer, aber exclusiv! Das sage ich dir! Ein Traum von einem Kleid! Rabenschwarz, ganz schlicht, aber von edler Eleganz. Klaus war hin und weg, als ich es ihm vorführte!“

Lara verschlägt es die Sprache. Ihr Kleid! Britta hatte heute ihr Kleid gekauft! Hätte ich mich doch bloß nicht von dem Wetter abhalten lassen. Ich ... Oh!

„Lara, Lara bist du noch da? Du sagst ja gar nichts!“

„Doch, ja, toll! Glückwunsch! Ich weiß ja, dass du einen guten Geschmack hast. Es ist nur ...“

„Was, was ist nur?“

„Nichts, gar nichts, es ist schon erledigt!“

„Nun sag schon, was ist los Lara?“

„Nichts! Wirklich nichts!“

„Na, wenn du es sagst! Aber ich muss dir noch etwas erzählen! Stell dir vor, mit wem ich beim Betreten der Boutique fast zusammen gestoßen wäre! Du wirst es schwerlich erraten!

Halt die Luft an, Lara und setz dich!“

„Vermutlich mit einem deiner zahlreichen Verehrer aus deiner Pubertätszeit!“ Lara interessiert schon gar nicht mehr, wer es gewesen ist. Sie ärgert sich maßlos über sich selbst.

„Nein, dieses Mal war es einer von deinen!“

„Du spinnst, Britta! Erzähle nicht so einen Schwachsinn! Wer sollte das bitte schön sein? Da bin aber wirklich neugierig!“

Lara verdreht die Augen. Sie hat keine Lust mehr, mit Britta so dummes Zeug zu erzählen.

„Das kannst du wohl sein! Marcel Schneider war es! Dein Marcel, der Schwarm einer Siebzehnjährigen! Erinnerst du dich noch? Er hat mich zuerst nicht erkannt. Als ich ihm aber meinen Namen nannte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Was aus mir geworden ist, hat ihn jedoch kaum interessiert. Vielmehr wollte er genau wissen, was du so machst. Und ich habe es ihm gesagt!“

„Und was hast du ihm gesagt?“

„Na, das was stimmt! Dass du inzwischen eine erfolgreiche Journalistin geworden bist, alleine lebst und ...“

Lara spürt, wie ihr heiß und kalt wird. Marcel! Wie sehr hatte sie damals darunter gelitten, als er in München sein Psychologie-Studium begonnen hatte und sie sich durch die Entfernung immer seltener gesehen hatten, bis der Kontakt letztendlich von alleine eingeschlafen war.

Sie hört Britta nicht mehr zu. Wie ein Film läuft die Zeit von damals vor ihr ab.

„Was hat er denn in einer Boutique gewollt, Britta? Du hältst mich doch zum Narren!“

„Nein, mache ich nicht! Woher soll ich wissen, was er da wollte! Vielleicht ein Geschenk für dich kaufen, eine schöne Kette, einen Ring, was weiß ich. Du findest in dem Laden ganz ausgefallenen, unsterblich teuren Modeschmuck. Warte es ab, er wird sich bei dir melden! Ich hab’s im Gefühl!“

Bei dem Gedanken, Marcel wieder gegenüber zu stehen, läuft Lara ein Schauer den Rücken herunter. Hoffentlich macht er es nicht, andererseits wünschte sie sich nichts sehnlicher!

Für einen Augenblick stellt sie sich vor, wie es wohl gewesen wäre, wenn sie in der Boutique ihr Traumkleid anprobiert hätte und Marcel hätte plötzlich hinter ihr gestanden.

Lara ist froh, dass sie sitzt. Ihre Knie werden bei dieser Vorstellung weich.

„Also Lara,“ hört sie Brittas Stimme aus der Ferne, „komm doch einfach morgen bei mir vorbei und sieh dir das Traumgewand an. Du hältst den Atem an, wenn du es siehst. Bis dann!“

Von wegen bis dann! Überschäumend vor Wut lehnt Lara sich in ihrem Sessel zurück. Ihr Herz klopft wie wild. Sie kann es nicht fassen, was Britta ihr da soeben erzählt hat.

Wenn ich mir vorstelle, sie trägt mein Kleid! Mein Traumkleid! Wie ich sie hasse, die Britta!

Aber das Allerschlimmste ist, dass sie Marcel gesehen hat! Wenn ich mir vorstelle, dass Marcel mich gerade in dem Moment erblickt hätte, wo ich mit meinem Abendkleid vor dem Spiegel gestanden hätte...........nicht auszudenken!

Lara steigen Tränen des Trotzes und der Wut in die Augen.

„Alles, aber auch alles habe ich mir durch meine eigene Schuld verdorben!

 

  © Helga Salfer