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Reihenhaus
– „Idylle“
Friedlich liegt die
kleine Reihenhaussiedlung im Sonnenschein. Bunte Blumen schmücken die schön
angelegten Vorgärten und lassen so manchen Vorübergehenden bewundernd davor
stehen bleiben. In einem dieser
Eigenheime wohnen Herr und Frau Schwarz. Herr Schwarz hat ein kleines
Entsorgungsunternehmen und kann sich seine Arbeitszeit frei
einteilen. In der letzten Zeit
kommt es jedoch immer häufiger vor, dass er mangels eingehender Aufträge zu
Hause sitzt und mit seiner Freizeit nicht so recht etwas anzufangen weiß. Ein ausgeprägtes
Hobby ist das Wagenwaschen seines Lkw ’s und das Kehren des Eingangsbereiches
zu seiner Haustüre. Ach ja, nicht zu vergessen – das Beobachten der
Nachbarschaft, sowie alles zu entdecken, was sich auf der Straße ereignet! Wer also stets über
das Neueste im Wohngebiet unterrichtet
werden möchte, der wende sich vertrauensvoll an Herrn Schwarz. Er weiß einfach
alles und ist jederzeit zu einem kleinen Schwätzchen bereit! Oft genug geht er
auch von sich aus auf die Nachbarschaft zu, um ihr das Neueste zu erzählen. An einem Montagmorgen
kommt Herr Blank mit Mineralwasserkästen in beiden Händen am Haus der
Schwarz’ vorbei. Wie immer sieht er die Gardine am Küchenfenster weit zurück
gezogen; denn schließlich spielt sich das Leben von Herrn und Frau Schwarz
ausschließlich in der Küche ab. Ein Lächeln umspielt
die Mundwinkel von Herrn Blank, und er schüttelt kaum merklich den Kopf. Herr Schwarz
wird sicher denken, wieso
arbeitet der Blank heute nicht? In diesem Moment öffnet
sich auch schon die Haustüre der Schwarz. „Ach, Herr Blank,
morgen, morgen! Schon so früh auf den Beinen? Kleiner Scherz! Es ist ja bereits
halb neun. Haben Sie noch schnell Wasser für Ihre Frau geholt? Ja, ja, das
mache ich auch. Die Kästen sind zu schwer, was? Und jetzt geht es ab ins Büro?
Na dann - frohes Schaffen noch!“ Herr Blank kommt gar
nicht dazu, eine der vielen Fragen, die auf ihn prasseln, zu beantworten. Er
nickt nur kurz und will gerade die Kästen auf den Treppenstufen
abstellen, um die Haustüre aufzuschließen, als Herr Schwarz nochmals
nachhakt. „Sind Sie mal froh,
dass Sie nicht selbständig sind. Hat schon was für sich, wenn man sich nicht
um alles selber kümmern muss. Allerdings sitzt man auch manches Mal auf dem
Pulverfass, bei all den Rationalisierungen, die überall in den Betrieben
vorgenommen werden. Aber das trifft ja für Sie nicht zu, nicht wahr? Als
Bankfilialleiter kann Ihnen ja so etwas nicht passieren. Oder?“ Herr Blank lächelt
seinen Nachbarn freundlich an und will sich mit einem kurzen, unverbindlichen
– nein, nein – diesem Gespräch entziehen. Schnell
schließt er die Haustüre auf und schiebt die Kästen in die Diele. Herr Blank atmet tief
durch und verdreht die Augen. „Oh Gott, wie nervt
mich dieser Mann,“ murmelt er vor sich hin. Seine Frau steht
grinsend in der Küchentüre. „Du kennst ihn
doch! Lass ihm das Vergnügen, er braucht es einfach. Stell dir vor, was er mir
gestern erzählte. Du glaubst es nicht.“ „Ach Anne, dieser
Nachbartratsch ist mir so was von egal. Ich habe wirklich wichtigere Dinge zu
tun, als mir den neuesten Klatsch dieser zweibeinigen Informationsstelle anzuhören.“ „Versteh ich ja,
Herbert, aber das musst du dir anhören. Er will beobachtet haben, dass der Hund
von Sanders’ sein Geschäft kurz nach Mitternacht genau unter seinen Fliederbaum gemacht hat. Dabei weiß doch hier
jeder, dass die Sanders ganz besonders darauf bedacht sind, dass ihr Hund so
etwas nicht tut. Sie haben immer eine kleine Plastiktüte und eine Schaufel bei
sich für den Notfall.“ „Eigentlich müsste
er doch zu dieser Zeit längst geschlafen haben, denn soweit mir bekannt ist,
gehen die Sanders immer morgens um fünf, nachmittags um drei und abends so
gegen halb zwölf mit dem Tier nach draußen.
Komisch! Sitzt der eigentlich rund um die Uhr am Küchenfenster und
spioniert allen nach?“ „Hm, ist schon ein
seltsamer Kauz.“ „Allerdings! Und über
mich wundert er sich, dass ich heute einmal nicht zur Arbeit gehe.“ „Er scheint nicht
allzu viele Aufträge herein zu holen. Frau Kramer war auch schon im vergangenen
Monat aufgefallen, wie oft der Lkw in den letzten Wochen unberührt auf der Straße
geparkt steht. Ha – er beobachtet die gesamte Nachbarschaft und weiß über
jeden angeblich Bescheid. Nur – dass er selber ebenfalls ins Visier genommen
wird, scheint er nicht zu bemerken. „Gut – aber er
ist sein eigener Chef – er wird schon wissen, was er macht. Mich interessiert
es nicht weiter, wie und womit er sein Geld verdient.“ „Herr Klein hatte
neulich ein Gespräch mitbekommen, indem
es um den Verkauf eines Mercedes Sportwagen ging, den Herr Schwarz angeblich günstig
gekauft und nun weiter vermitteln wollte,“ erwidert Frau Blank, während sie
ihrem Mann folgt, der die Wasserkästen in den Keller trägt. „Wo mag der so ein
teures Auto her haben? Sie haben doch einen verhältnismäßig neuen Pkw, der
auch kindgerecht ist. Was braucht er da noch einen Mercedes Sportwagen mit
Schiebedach, Silber metallic Lackierung? Wer weiß, was der noch so alles
macht!“ Kurze Zeit später
– Herr Blank hat gerade seinen Wagen in die Garage gefahren - wird er
unbeabsichtigt Zeuge eines interessanten Gespräches zwischen Herrn Schwarz und
Frau Meurer, die mit ihrem Mann vor einem halben Jahr eines der sechs Häuser
bezogen hat. „Na,
Frau Meurer? Wie geht’ s ? Einen wunderschönen guten Morgen. Ja,
nicht jeder Mann im Angestelltenverhältnis kann es sich erlauben, ins Büro zu
fahren, wann es ihm beliebt, nicht wahr?“ „Da haben Sie
Recht, Herr Schwarz. Sie, als Selbständiger, genießen da sicher einige
Vorteile. Es ist schon schön, sein eigener Herr zu sein. Wie laufen denn die
Geschäfte so?“ Herr Schwarz streicht
sich über seinen Vollbart. „Ach, wissen Sie,
Frau Meurer, ich habe genug zu tun.“ „Und da sind Sie
jetzt zu Hause?“ „Zwischendurch muss
ja auch die Buchführung erledigt werden, liebe Frau Meurer. Meine Frau sagt
immer, ich hätte nie mehr Zeit für sie. Tja, so ist das nun einmal, wenn man
einen eigenen Betrieb hat. Mir geht es nicht so gut, wie viele immer glauben.“ „Aber jetzt im
Moment haben Sie doch Zeit, mit mir
zu plaudern.“ Frau Meurer sieht ihn verschmitzt aus den Augenwinkeln an. „Schon, schon, aber
die Minuten muss ich ja nachher irgendwie nachholen. Also werde ich wieder bis
in die Nacht hinein über meinen Büchern sitzen.“ „Dann will ich sie
nicht weiter von Ihrer Arbeit abhalten, Herr Schwarz. Bestellen Sie Ihrer Frau
einen schönen Gruß von mir.“ „Mach ich doch
gern, Frau Meurer! Und grüßen Sie mir Ihren Gatten!“ Herr Schwarz will
gerade ins Haus zurück gehen, als
er die unverkennbare Stimme von Frau Brandt hört. „Funny
, komm her! Bleib an meiner Hand.“ „Guten Morgen,
junge Frau!“ Herr Schwarz deutet eine leichte Verbeugung an. „Und die kleine
Dame geht mit der Mama einkaufen?“ „Nein,
in den Kindergarten“, antwortet Funny und sieht dabei zu dem großen,
kräftigen Mann vor ihr auf. Sie hat immer ein wenig Angst vor ihm, weil er so
eine laute und tiefe Stimme hat. „Was gibt es Neues
in der Siedlung, Herr Schwarz?“ Die zierliche Frau Brandt schaut Herrn Schwarz
erwartungsvoll an. „Gute Frau, wie
soll ich das wissen? Sie scherzen. Ich habe nicht so viel Zeit, wie ihr Frauen.
Ich muss den ganzen Tag von morgens bis in die Nacht hinein schuften. Mir bleibt
kaum die Zeit für eine Mahlzeit am Tag. Ich muss jetzt nur schnell noch einmal
ins Haus und telefonieren und dann, ja, dann geht es auf zum nächsten Kunden.
Vor sieben, halb acht bin ich keinen Abend zu Hause. Natürlich gibt es auch
Tage, an denen es wesentlich ruhiger zugeht. Aber die sind leider recht
selten.“ „Warum steht denn
dann Ihr Lkw jeden Tag auf der Straße?“ Herr Schwarz wird
sichtlich verlegen. „Der Wagen, ja, ach
so! Jaha! Hm – der ist im Augenblick nicht fahrtüchtig. Wissen Sie, ein
kleiner technischer Defekt. Aber ich habe hier bei einem Freund einen zweiten
Lkw untergestellt. Ich nehme dann den Pkw und fahre dorthin und dann mit dem Lkw
weiter. Ja- genauso ist es! So, aber nun entschuldigen Sie mich bitte, die
Pflicht ruft!“ Bei dieser Stammelei
ist sich Frau Brandt sicher, Herrn Schwarz an einer empfindlichen Stelle
getroffen zu haben. Am liebsten möchte sie ihm ins Gesicht sagen – warum belügen
Sie mich – schluckt aber ihren Unmut darüber herunter und bemerkt
stattdessen: „Hm, aber Ihre Frau meinte neulich, es wäre schon manchmal lästig,
dass sie den ganzen Tag zu Hause säßen . . .“ Was wäre eine
Reihenhaussiedlung ohne den täglichen Klatsch und Tratsch, denkt Frau Brandt auf dem Weg zum
Kindergarten. Wo bliebe dann die Idylle?! © Helga Salfer |